Interview
Digitale Gesundheitsanwendungen – kurz DiGA – können von Ärzt:innen verordnet werden, um Diagnosestellung und Therapieverlauf zu unterstützen. Doch es herrscht noch viel Unsicherheit im Umgang mit diesen digitalen Tools. Dr. med. Alexandra Widmer, Fachärztin für Neurologie und Psychotherapie, ist Gründerin der Plattform „docsdigital“. Im Interview schildert sie, worauf es aus ihrer Sicht ankommt, damit DiGA zu einer echten Bereicherung der medizinischen Versorgung werden.

Dr. Alexandra Widmer – Expertin für eCardiology und digitale Gesundheitslösungen.
Wie sind Sie zur DiGA-Spezialistin geworden?
Ich habe über viele Jahre hinweg in einem internationalen Unternehmen – einem der DiGA-Pioniere – an der Entwicklung, Erprobung und Einführung von digitalen Anwendungen mitgearbeitet und sehr hautnah erlebt, welches Potenzial in diesen Konzepten steckt. Diese Entwicklung aus ärztlicher Sicht mitzugestalten, ist für mich zu einem zentralen Thema geworden. Es war mir immer wichtig, ärztliche Kommunikation und digitale Prozesse eng miteinander zu verzahnen. Nur dann gelingt es, digitale Anwendungen so in die medizinische Versorgung zu integrieren, dass sie für beide Seiten – Ärzt:innen und Patient:innen – wirklich einen Nutzen bringen.
Welche Erfahrungen haben Sie bei der Integration von DiGA in den Praxisalltag gemacht?
Ich habe DiGA über viele Jahre hinweg in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt. Ursprünglich wurden viele Anwendungen als Standalone-Lösungen konzipiert, also zur eigenständigen Nutzung durch die Patient:innen. In der Praxis zeigte sich dann jedoch, dass die Verschreibung allein nicht reicht. Ärztliche Begleitung ist erforderlich. DiGA sind kein Ersatz für einen persönlichen Arztkontakt, vielmehr erfordern sie eine neue Art der Kommunikation. Die Patient:innen müssen aufgeklärt werden, welchen Stellenwert die DiGA im medizinischen Gesamtkonzept besitzen, und die Ärztin/der Arzt sollte die erzielten Ergebnisse im Blick haben. Diese Haltung macht den Unterschied, ob eine DiGA wirklich bei der Patientin/dem Patienten ankommt oder nicht.
Können Sie ein konkretes Beispiel für eine erfolgreiche DiGA-Anwendung nennen?
Ich habe in meiner Praxis zum Beispiel eine Patientin mit Migräne und einer bipolaren Störung betreut, die eine digitale Anwendung zur Schlafregulation genutzt hat. Die App zeigte an, dass die Patientin über eine Woche hinweg sehr schlecht geschlafen hatte, und empfahl eine Arztkonsultation. Die Patientin befand sich zu diesem Zeitpunkt am Beginn einer hypomanen Phase und fühlte sich trotz der Schlafstörung sehr gut. Ohne den digitalen Fingerzeig hätte sie mich nicht aufgesucht. Mit DiGA-Unterstützung jedoch konnte ich die hypomane Phase frühzeitig erkennen, die Medikation anpassen und einen stationären Aufenthalt vermeiden.
Wie bewerten Sie den Nutzen von DiGA in der Kardiologie?
Im kardiologischen Bereich gibt es aktuell drei zugelassene DiGA. Vantis wird bei koronarer Herzkrankheit eingesetzt, ProHerz bei Herzinsuffizienz und Actensio bei Hypertonie. Da ich als Neurologin keine kardiologischen DiGA einsetze, verfüge ich nicht über eigene Erfahrungen hinsichtlich günstiger Auswirkungen etwa auf die Therapieadhärenz und die Umsetzung von Behandlungszielen. Wichtig ist – wie gesagt – dass die Anwendung von Beginn an sinnvoll in ein strukturiertes Behandlungskonzept eingebettet und dies den Patient:innen auch vermittelt wird.
Wie sehen Sie die zukünftige Bedeutung von DiGAs in der kardiologischen Versorgung?
Ich sehe ein großes Potenzial für die kardiologische Versorgung. Voraussetzung ist, dass Ärzt:innen ein klares Verständnis davon haben, was DiGAs leisten können. Dafür braucht es mehr Aufklärung und Transparenz. Viele Ärzt:innen empfinden diese Anwendungen noch als eine Art „Blackbox“. Sie haben nur ungefähre Vorstellungen, wie sie diese Tools in der medizinischen Versorgung konkret nutzen können. Und viele Ärzt:innen sind sich nicht im Klaren darüber, welchen Part sie selbst übernehmen müssen, damit das Konzept tatsächlich erfolgreich funktioniert. Hier brauchen die Ärzt:innen Unterstützung etwa in Form geeigneter Fortbildungsformate.
Und wie könnte ganz allgemein die DiGA-Zukunft in der Medizin aussehen?
Ich denke, dass digitale Gesundheitsanwendungen künftig Teil einer integrierten Versorgung sein werden. Das setzt voraus, dass auch Kostenträger den Einsatz von DiGA aktiv mittragen. Die Verordnung einer DiGA ist nicht vergleichbar mit der eines Medikaments. Sie erfordert eine neue Arzt-Patienten-Kommunikation. Wer Innovation in die Versorgung bringen möchte, muss auch diese ärztliche Investition mitdenken. Es braucht Expertise und ein sicheres Gespür dafür, wann eine digitale Anwendung sinnvoll ist. Das verdient Anerkennung auch in der Vergütung. Gerade in einer Zeit, in der zunehmend innovative Technologien bis hin zur künstlichen Intelligenz genutzt werden, gewinnt das ärztliche Gespräch weiter an Bedeutung. Das Gespräch ist und bleibt unser wichtigstes Instrument, und das muss auch in den Rahmenbedingungen abgebildet sein.
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